CGS-Spezial-Reihe: Analysen zur globalen Politik des Internets
Nicht erst seit den Enthüllungen durch Edward Snowden sind die politischen Dimensionen des Internets sehr deutlich geworden. Bei den weitverzweigten Kommunikationsnetzwerken handelt es sich nicht um bloße technische Strukturen. Die Evolution des globalen Internets hat hingegen, so argumentieren viele Experten, revolutionäre Auswirkungen auf individueller Ebene, für einzelne Nationalstaaten, sowie aus globaler Sicht. Neben der nationalen Sicherheit, die nun unweigerlich um eine Cyber-Dimension erweitert worden ist, und den machtpolitischen Auseinandersetzungen zwischen großen Internetfirmen und Regierungsbehörden, ist auch unsere persönliche Lebenswelt vor allem im Bezug auf Privatsphäre, Freiheitsrechte und Datensicherheit stark betroffen. In analytischer Hinsicht sind digitale Kommunikations- und Vernetzungstechnologien aber zunächst als prinzipiell neutral zu verstehen.
Eine technik-deterministische Sichtweise, die dem Internet selbst gewissermaßen als technischem Akteur oder Faktor unmittelbare Wirkungsmacht zuschreibt, ergibt keinen Sinn. Die Vorstellung, dass das Internet „an sich“ geschichtliche Entwicklungen beeinflussen kann ist irreführend. Stattdessen ist erstens immer die Aneignung oder Nutzung von Technologien durch menschliche Akteure entscheidend. Zweitens kommt es zudem zur Entstehung von neuen technologischen Netzwerken, die Handlungsoptionen verändern, neue Identitäten ermöglichen können oder zugleich Objekt und Träger kollektiver Zukunftsvisionen bilden. Das Internet bliebt mit anderen Worten kontingent. Digitale Medien und das Internet können einerseits zu äußerst effektiven Instrumenten im Dienste autoritärer Regime werden oder andererseits zu geschätzten Kommunikations- und Vernetzungsmitteln beim Kampf um politische Freiheitsgrade wie etwa während des Arabischen Frühlings.
Diese komplexen Zusammenhänge machen das Internet zu einer großen Herausforderung für die sozialwissenschaftliche Analyse. Kurz gesagt ist inzwischen deutlich geworden, dass das Internet keine unpolitisches Artefakt, keine ‚technische’ Zone mehr ist. Die nachfolgenden Studien haben die gemeinsame Annahme zum Ausgangspunkt, dass das globale Internet eine techno-politische Arena darstellt, in der unterschiedlichste politische Auseinandersetzungen, Gefahrenpotentiale und Chancen für gesellschaftliche und ökonomische Weiterentwicklung nebeneinander existieren und sich wechselseitig bedingen. Die Untersuchungen in dieser CGS-spezial-Reihe sind im Rahmen eines Master-Seminars im Sommersemester 2014 entstanden und präsentieren Forschungsergebnisse, die relevant für die öffentliche Debatte sind. Sie behandeln zugrunde liegende Fragestellungen der globalen Politik des Internets – praktischer und theoretischer Natur – in einer ausgewogen Mischung von kritischer Analyse und argumentativer Stellungnahme, verständlich formuliert für eine breite Öffentlichkeit.
Die interessierte Leserin kann die folgenden Einzelthemen, die von Entstehen von Cyber-Macht über Cyber-Kriege und digitalen Transformation autoritärer Regime bis hin zur internationalen Regulation des Internets und der Zukunft des Rechtsstaats reichen, für sich genommen lesen oder als Komplex zusammenhängender Untersuchungen. Es wird jeweils weiterführende Literatur am Ende der Beiträge vorgeschlagen. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Themen:
Table of Contents
Das Spiel um Macht im Cyberspace Zwischen Schein und Sein: Gleichberechtigte Akteure oder David gegen Goliath?
von Janina Renard
Die Möglichkeiten, durch das Internet Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, bieten vermehrt Anlass zu Diskussionen und Beiträgen. Inwieweit welche Akteure dabei tatsächlich an Macht gewinnen können und welche neuen Machtformen zur Szenerie beitragen, ist Thema dieses Aufsatzes. Nach der Vorstellung einiger theoretischer Machtformen wird anhand von Beispielen gezeigt, dass Staaten zwar weiterhin die mächtigsten Akteure bleiben, trotzdem jedoch eine Machtdiffusion zu verzeichnen ist. Weiterlesen
Cyberwar und Cyberwarfare: Bereits Realität oder (dys-)/utopisches Zukunftsszenario?
Von Julia Linzen
Die Vorstellung von Cyberkriegen, die unser aller Sicherheit zukünftig existenziell gefährden werden, scheint im gegenwärtigen Diskurs um Cybersicherheit das dominierende Denkmuster zu sein. Inwieweit und ob von Cyberwarfare und Cyberwar tatsächlich eine Gefahr ausgeht, welche unterschiedlichen Positionen und Argumentationsweisen in der aktuellen Debatte existieren, soll dabei im vorliegenden Artikel diskutiert werden. Weiterlesen
Das Internet: ein Instrument zur Transformation oder zur Konsolidierung autoritärer Systeme?
Von Christopher Gerards
Kommt dem Internet in autoritären Systemen vornehmlich eine transformative oder eine konsolidierende Bedeutung zu? Theoretisch betrachtet gibt es keine pauschale Antwort, keine der beiden Optionen tritt unweigerlich ein. Daher sollten Urteile immer anhand jeweils lokaler Faktoren und auf der Basis von Einzelfällen gefällt werden. Das Beispiel Chinas zeigt etwa, welche Möglichkeiten Staaten zur Verfügung stehen, das Internet als Instrument zur Kontrolle seiner Bürger einzusetzen. Quantitative Analysen legen zudem den Schluss nahe, dass die Anstrengungen zur Internetkontrolle im weltweiten Vergleich in ihrer Anzahl und Qualität zunehmen. Weiterlesen
Jihad 2.0 – Strukturelle Veränderungen des Terrorismus durch das Internet
von Tobias Glawe
Das Internet hat seit seiner Entwicklung fast alle Bereiche des Lebens verändert. Auch der internationale Terrorismus hat sich in seiner Struktur durch die Übernahme der netzwerkartigen Strukturen des Internets gewandelt. Welche Auswirkungen hat die informationstechnische Globalisierung für die radikale islamistische Szene und die Art der terroristischen Bedrohung? Eine anzunehmende Folge, ist die wahrscheinliche Bedeutungszunahme des „Leaderless Jihad“. Weiterlesen
Zukunft des Cyberspace: Abgrenzende Regulierung oder weltweiter „wilder Westen“?
von Dominikus Edelbert Leicht
Liegt die Zukunft des Internets in einem fragmentierten Netzwerk, das sich entlang nationalstaatlicher Grenzen aufspaltet? Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass Staaten den neuen Bedrohungen durch und im den Cyberspace nur schwer begegnen können. Im „Wilden Westen“ digitaler Kommunikationsstrukturen sehen viele Regierungen nationalstaatliche Souveränität in Gefahr. In der Tat, gibt es eine wachsende Tendenz, dass Staaten mit Nachdruck versuchen ihre Hoheitsrechte im internationalen Konsens auf das Internet auszubreiten. Weiterlesen
Freiheit und Konformismus in Realitäten globaler Überwachung
von Bennet Krebs
Die Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden haben die globale Öffentlichkeit für die Gefahren staatlicher Überwachung sensibilisiert. Doch bereits zuvor war die Diagnose einer schleichend aufkeimenden Überwachungsrealität valide. Dieses Essay möchte ihre Folgen für die persönliche Freiheit des Einzelnen reflektieren. Weiterlesen
Zugehörige Veranstaltungen
- Vortrag – M. Mayer – Millennium Annual Conference, London
Zugehörige Publikationen
- Ruth Knoblich. 2017: Die globale Regulierung geistiger Eigentumsrechte. Interessen, Strategien und Einfluss Brasiliens, Chinas und Indiens. Baden-Baden: Springer VS.